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1. Dramaturgie des Schreckens
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1. Dramaturgie des Schreckens
Erzählungen vom Weltuntergang finden sich in vielen Kulturen wieder: vom alten Indien bis zur Postmoderne, von religiösen
Konzepten bis zum Kommerz der Popkultur.
Diese Erzählungen fragen gewöhnlich nach dem Grund der
bedrohlichen Situation und reflektieren gleichzeitig die Rolle und Verantwortung des Menschen. Das Ergebnis, welches dabei herauskommt,
ist schliesslich eine Mischrechung: der Mensch erleidet keine reine Opferrolle, sondern trägt in unterschiedlichem Masse zur
Katastrophe oder zur Bedrohung, welche zum Weltuntergang führt, bei - und er kann in unterschiedlichem Masse etwas dagegen tun.
Das Thema des Weltuntergangs ist kein rein christliches, sondern findet sich durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte und in allen
Kulturen wieder.
Weltuntergangsszenarien folgen einem gemeinsamen
Grundmuster, das stark vereinfacht etwa so aussieht:
Damit überhaupt sinnvoll von Weltuntergang gesprochen weden kann, muss die Vorstellung eines völlig anderen Weltzustandes vorhanden sein.
Traditionellerweise ist das ein Zustand, in dem die
Welt entweder von der göttlichen Wirklichkeit bestimmt und durchdrungen wird oder in dem aus der göttlichen Wirklichkeit heraus die
Welt vergeistigt und allem Bösen enthoben wird.
Wie wird unser Universum enden? Bild der Andromeda-Galaxie, die sogar mit dem Feldstecher am nächstlichen Himmel sichtbar ist; Foto von astroimages.de.
Die Vorstellungen der Moderne hingegen kreisen um die physikalischen Modelle des Big Rip (einer Art explosionsartigem Zerreissen des Raumes), des Big Crunch (wonach sich das Universum wieder zusammen zieht und in einer Art umgekehrtem Urknall zusammenfällt) und der ewigen Expansion des Unsiversums (der kompletten Ausdehnung der vom Urknall angetriebenen Materie bis zur gähnenden kraftlosen Leere).[ Allerdings darf der Behauptung wiedersprochen werden, wonach die letztere Erklärung des Weltunterganges objektiver
als die traditionellen Erzählungen sei. Sowohl der physikalische Weltbeginn (Urknall) und das Weltende (Big Rip, Big Crunch oder ewige Expansion)
sind hypothetisch berechnete wissenschaftliche Aussagen. Sie sind Produkte des gegenwärtigen Diskurses, nach dem nur der physisch wahrnehmbaren
Welt Wirklichkeit zukommt. Genau genommen sind aber der hypothetische Weltbeginn und das Weltende ebenso "jenseitig" und sprechen von einer
ähnlichen total anderen Wirklichkeit wie traditionelle Vorstellungen.
Nach
Carl Friedrich von Weizsäcker
ist beispielsweise
die Vorstellung eines Urknalls der Entstehungsmythos
im Zeitalter der Atombombe (C.F. v. Weizsäcker, "Zeit und Sein", S. 343). Die grossen Erzählungen passen zur Zeit, in der sie entstehen
und beantworten die Fragen, die der laufende Diskurs stellt.
Einen weiteren Aspekt, nach dem traditionelle und neuzeitliche Welterklärungen verglichen werden können, finden Sie auf dieser
Website unter visionen.
Ausserdem ist ein zentrales Problem physikalischer Entstehungs- und Untergangserzählungen noch ungelöst:
das Problem der Entropie ].
[ Wie auf dieser Website unter angst deutlich gemacht wird, können wir allerdings nicht von der Angst als Quelle der Apokalypse ausgehen, sondern von anderen Grundzügen menschlichen Daseins. Unter psychologie werden diese Grundzüge auf ihren archetypischen Gehalt hin beleuchet. ]
Die Grunderfahrungen, welche zu Vorstellungen vom Weltuntergang führen, entspringen den Widersprüchen, in denen das Leben verläuft. Sie entspringen dem Wechselspiel von Veränderung und Beständigkeit, von Identität und Erneuerung, angefangen bei Geburt und Tod, dem Hin-und-Her eigener Emotionen bis zu den unzähligen Begegnungen mit Menschen und der Welt.Paradiesdarstellung, von, Lucas Cranach d. Ä., 1536, Kunsthistorisches Museum, Wien.
[ Während sich bei den drei abrahamitischen Religionen Weltanfang und Weltende zwar gleichen, ist die Vorstellung von einer
Entwicklung und
Veränderung nicht von der Hand zu weisen. Im Judentum beginnt die Welt mit dem Paradies und wird mit dem Wiederaufbau Jerusalems und
der Weltherrschaft des Menschensohnes enden; im Christentum durchleben Mensch und Welt ihre Geschichte vom Paradies bis
zum Himmlischen Jerusalem, das von Gottes Licht und Liebe durchleuchtet wird; der Islam spannt den Bogen der Gschichte zwischen Paradies und
endzeitlichem Friedensreich. Nach allen drei Religionen wird nach der Auflösung der Welt eine neue, andere Welt geschaffen.
Eine eher zyklische Wiederkehr desselben Weltzustandes legen die östlichen Religionen nahe. Im Hinduismus und
Buddhismus wird die Welt
geschaffen, erhalten und zerstört, um von Neuem wieder (ähnlich dem sich wiederholenden Wach- und Schlafzyklus oder dem Ein- und Ausatmen)
geschaffen, erhalten und zerstört zu werden. Nur der Zustand der Erleuchtung ermöglicht es den Menschen, aus diesem ewigen Zyklus auszubrechen.
Die chinesiosche Religion sieht als einzige keinen Unterschied zwischen dem anfänglichen und endzeitlichen Zustand. Alles ist Tao - Urgrund
und Ziel der Welt. ]
Maitreya, der kommende Buddha; auf einem Tanka.
Sie handeln dann meistens als Vollstrecker dessen, wofür sie zu Lebzeiten eingetreten sind. Sie richten und herrschen oder treten als Fürsprecher der Ihrigen ein und bestätigen sie ih ihrem Glauben und Handeln. Eine besondere Form der Wiederkehr findet bei Buddha als heiterer und beleibter Buddha, dessen mitreisendes Strahlen die Menschen gewinnen wird.Der segnende Christus in der Mandolra; Mosaik, 9. Jrhd., Capella di San Zeno, Santa Prassede, Rom.
Der Triptychon von Hand Memling drückt viele der Ängste, welche die Menschen des Mittelalters beschäftigten, aus. Ausschnitt aus Das jüngste Gericht, Hans Memling, Öl auf Holz, 1466-1473, National Museum, Gdánsk.
Während dem Mittelalter bestimmte die Erzählung des Jüngsten Gerichtes und des Weltendes das alltägliche Leben enorm mit. Einerseits vermochte diese Erzählung zu inspirieren und andererseits verhinderte sie Fortschritt und Innovation im heutigen Sinne. Mehr zu diesem Thema finden Sie unter mittelalter2.
Fragment einer Tontafel – beschriftet mit der babylonischen Erzählung der Sintflut. 11. Tafel des Gilgamesch-Epos (gefunden von Austen H. Layard, 1851, mit der Bibliothek von Assurbanipal), Trustees of the British Museum.
Auf diesem Relief aus dr Zeit des Darius (550 - 486 v. Chr.) ist das Faravahar dargestellt (Menschenleib, der aus einem geflügelten Ring hervorragt), das Zeichen im Zoroastrismus für die Geburt der menschlichen Seele aus dem Kampf zwischen Gut und Böse; Bistun, Kermanshah, Iran (früheres: Bagastana)
Das Reich Ahura Mazdas wird am Ende dieses Kampfes neu erstehen. Das Gute wird über das Böse siegen.Der widersprüchliche Gott Seth stellt sich Apophis entgegen; aus dem Grab Ramses' I, um 1290 v. Chr., Luxor.
Apophis wird jedoch jedesmal zurückgedrängt, getötet und zerstückelt, um bei der nächsten nächtlichen Durchfahrt wieder als Widersacher aufzuwarten. In einigen wenigen Versionen des Mythos' verschlingt er den Sonnengott tatsächlich und speit ihn später wieder aus.[ Die Weltalter nach griechischer Mythologie sind:
Deukalion und Pyrrha nach der Flut, Peter Paul Rubens, 1577-1640, Madrid, Museo Nacional del Prado
Die antike Philosophie ging - anders als die Dichtung - davon aus, dass
die Welt zyklisch, in sich wiederholenden Weltaltern, abläuft. Nach Philo (Über die Ewigkeit der Welt)
glaubten die Stoiker, unsere Welt würde in periodischen Weltenbränden neu geformt. Ebenso treten bei Anaximander, Anaximenes,
Heraklit, Diogenes von Apollonia, Platon, Aristarch von Samos und bei Ovid die Vorstellung von wiederkehrenden Weltzerstörungen
und anschliessend neu beginnenden Zeitaltern auf.
Die Protagonisten der griechischen Tragödie sind unvermeidlich in den eigenen schicksalhaften Untergang, der einer
Art unabwendbarem Fluch gleicht, verstrickt. Sie leben sozusagen mit dem drohenden persönlichen Untergang.
Ödipus, der Innbegriff der tragischen Figur. Der Abschied des Ödipus von den Leichen seiner Frau und Söhne, Edouard Toudouze, 1871, Ecole nationale supérieure des Beaux-arts, Paris
Das Elysion, die Insel der Seligen, gleicht eher einem paradiesischen Himmel als einem Endzustand der Welt. Hier können die Heroen der alten Zeit unter der Herrschaft des Kronos in einem paradiesähnlichen Zustand ruhen. Parallelen dazu sind eher Avalon, Wallhall oder dem Reich des Amitabha.Der gefesselte Fenriswolf wird - ähnlich wie das Tier der Apokalypse - am Ende dieser Welt wieder entfesselt sein und schliesslich im Kampf gemeinsam mit dem Göttervater Odin sterben; Isländische Illustration aus dem 17. Jh.
Durch den Weltenbrand werden Ordnung und Chaos ins Gleichgewicht gebracht und der Allvater Fimbultyr schafft die Welt neu, die verbliebenen Asen treffen sich in den Resten Asgards.Ein Kalenderrad des Mayakalenders; zum obigen Bild liegt bisher noch keine genauere Angabe vor.
Der Maya-Kalender geniesst in jüngster Zeit vermehrt Aufmerksamkeit, da nach ihm das Ende eines Baktun-Zyklus (die lange Zählung) bevorsteht.[ Die Menschheit der ersten Welt wurde durch Jaguare ausgelöscht. Am Ende der zweite Welt wurden die Menschen von Quetzalcóatl, der "gefiederten Schlange", in Form von Ehecatl mit einem magischen Wirbelsturm in Affen verwandelt. Die dritte Welt ging im Feuerregen unter. Die vierte Welt endete in einer gigantischen Flut, welche nur eine Frau und ein Mann überlebten und schliesslich von Tezcatlipoca in Hunde verwandelt wurden. ]
Der aztekische Gott Quetzalcoatl (gefiederte Schlange) in einer Darstellung im Codex Telleriano-Remensis, 16th century
Die heutige Menschheit erschuf Quetzalcóatl, der Gott "gefiederte Schlange". Er besprengte die Gebeine der alten Toten mit seinem Blut und erweckte sie wieder zum Leben. Damit begann die Zeit dieser fünften Welt. Sie ist verdammt, in einem gewaltigen Erdbeben unterzugehen. Dann werden die skelettartigen Monster aus dem Westen, die Tzitzimime, erscheinen und alle Menschen töten.[ Wie hier auf dieser Seite unter angst dargelegt wird, ergibt sich ein logisches Problem, wenn ein Gott von so hoher Selbstidentität und Zuverlässigkeit wie der jüdische Gott sein Volk in den Sklavendienst in Ägypten entliess (1500 - 1300 v. Chr), wenn er seinem Volk das Exil in Babylonien (586 - 538 v. Chr.) zumutete, wiederkehrende Fremdherrschaft nicht einfach zerschlug und wenn er ihm weder die völlige Volkszersplitterung, noch wiederkehrende Progrome, Gettoisierungen und Feindlichkeiten, noch den Holocoust des 20. Jahrhunderts ersparte. Die Lösung des jüdischen Volkes war - zumindest in früherer Zeit - niemals an der Beziehung (und das bedeutet am Bund) mit seinem Gott zu zweifeln, sondern an der eigenen Rolle. ]
Ezechiel sieht in seiner Vision den nahenden Menschensohn auf einem Wagen mit Feuerrädern kommen. Diese Vision wird oft im Zusammenhang mit der Apokalypse genannt. Die Vision Ezechiels, Troyes, 1150-1200 Bibel von Montiéramey, (Troyes, B.m., ms. 0028, t. I, f. 220, 28)
Die jüdische Tradition des Alten Testamentes und der apokalyptischen Literatur wird vom Bedürfnis angetrieben, diesen Widerspruch zu lösen. Sie will den einen zuverlässigen Gott im Wechsel der Zeit erkennen. In diesem Sinne sind die Passagen über die Endzeit, die in diesen Texten auftauchen, zu verstehen. Am Ende der Zeit wird eine Friedenszeit anbrechen, in welcher der Messias sich mit den Gerechten verbinden und die Gottlosen vernichten wird.In der Offenbarung des Johannes erscheint Christus als Allherrscher (Pantokrator) und Richter der Welt. Diese Vorstellung hat in der frühen Kirche zu vielen Pantokrator-Portraits des kommenden Christus geführt. Im Bild: Christus als Pantokrator in der Apsis der Kathedrale von Cefalu, Sizilien (Italien). Mosaik im byzantinischen Stil.
Während in den Evangelien des Neuen Testamentes die Heilsgeschichte Jesu Christi auf die Lebensumstände von einzelnen betont wird, wird in der Apokalypse die Heilsgeschichte im Rahmen der ganzen Menschheit geschildert. Die Spannung zwischen der Vollendeten Heilstat Christi in Kreuzigung und Auferstehung und dem Moment tatsächlicher Gottesherrschaft beschäftige das Christentum der ersten Jahrunderte dringlich. So war die Erwartung des nahen Reiches Gottes stets präsent.Mohammed (oben rechts) reitet auf Buraq ins Paradies, der Engel Gabriel geht ihm voraus (oben links). Dies ist eine seiner wunderbaren Reisen, in denen er wärhend der Nacht die geistige Wirklichkeit durchreist. Persisch, 15. Jrhd., aus dem Manuskript Miraj Nama, Bibliotheque Nationale, Paris.
Dann wird der Dajjal (Antichrist) erscheinen, ein Monster mit einem Auge und dem Zeichen Kafir (Ungläubiger) auf der Stirn, und die Endzeit einleiten. Er wird die Menschen zu Egoismus und Materialismus verführen, bis sein Gegenspieler, der Mahdi (Retter, Befreier) auftaucht und schliesslich ein tausendjähriges Reich des Überflusses und Reichtums. Dann kehrt Isai, der Sohn Marias (Jesus) als Gottgesandter (nicht als Sohn Gottes oder als Auferstandener) zurück und reiht sich in die Umma ein.Shiva, einer der drei Hauptgottheiten im Hinduismus, ist der Weltzerstörer. Er zerstört und transformiert das Irdische. In dieser Darstellung erscheint Shiva im Zeichentrickfilm der amerikanischen Künstlerin Nina Paley Sita sings the Blues, 2009.
[ Im ersten Weltzeitalter leben die Menschen in Vollkommenheit und sind frei von bösen und ledivollen Erfahrungen. In jedem darauf folgenden
Zeitalter nimmt die Vollkommenheit einen Viertel ab. Zusammen ergeben die vier Weltzeitalter das Mahayuga (= grosses Weltzeitalter) das
4 Millionen und 320 Tausend Menschenjahre dauern soll, 1000 Mahayugas ergeben dann ein "Kalpa". Das entspricht einem Tag Brahmas, also einem
Göttertag. Am Ende des Göttertages wird dann nicht nur die Welt, sondern das gesamte Universum untergehen. In einem hundertjährigen Feuerbrand
wird die uns bekannte Welt in Asche gelegt und in der darauf folgenden hunterjährigen Weltflut wird der Raum versinken.
Das Universum wird sich im Absoluten, in der totalen Überschreitung auflösen und nur eine indifferente, flimmernde Masse, die
undifferenzierte Ursubstanz zurück lassen. ]
Maitreya wird oft als heiterer und in sich ruhender Buddha dargestellt. Hier eine Skulptur des Maitreya (des künftigen Buddhas) in einer Höhle bei Feilai Feng (der Gipfel, der von ferne heranflog), Hangzhou, China
Angesichts der gegenwärtigen Unordnung und Komplexität warten viele Buddhisten auf das erscheinen des nächsten Buddhas - auf Maitreya. Ganz am Ende dieser Welt wird ein letzter Buddha, der noch nicht gekommene, ein tausendjähriges Friedensreich stiften und die Menschen retten. Aber er wird nicht die kosmische Weltauflösung verhindern. Nachdem die Welt durch Feuer, Wasser und Wind zerstört sein wird und die Zeit der Nichtexistenz durchlaufen hat, wird eine neue Welt entstehen.Im Ying-Yang-Symbol drückt sich eine Grunderfahrung aus: das dynamische Wechselspiel der Gegensätze. Sie werden - nach teoistischer Ansicht - dereinst auch den Weltuntergang bewirken.
Himmel und Erde werden „vergehen", was auf taoistisch heisst, dass der Kosmos (dieser Wirbel der Zehntausend Dinge und Wesen) sich phasenweise zurück zum Ursprung verwandelt, sobald die Entfaltung des Weltalls ihren Höhepunkt erreicht hat.Im Zuge neuzeitlichen Weltverständisses rückt die jenseitige Welt aus dem Blick und der Glaube an eine Wirklichkeit Gottes wir immer dünner. Diese Haltung wird allgemein als gewonnene Freiheit erlebt, welche die Ketten des Mittelalters und seiner von Gottesfurcht geprägten Mentalität sprengt. In der Neuzeit entwickelt sich allmählich der Individualismus, wie wir ihn heute kennen, der allerdings gerade heute vom Phönomen der Massenkultur auf das Massivste erschüttert wird.
In seinem Bild Colconde stellt Magritte die Massenkultur dar. Bild von 1953.
[ Nebst dem Individualismus entwickelte sich in der Neuzeit eine Konzentration der Wissenschaften auf die physikalische Welt und
parallel dazu eine Politik des Zwecks und schliesslich der Sicherheit und Wirtschaft. Die Befreiung des Individuums wird spätestens
bei Kant abgeschlossen, wonach einzig die Erscheinung der Dinge "an sich", wie sie für uns erfahrbar ist, als Ausgangspunkt der
Erkenntnis gelten kann.
Der tätige Mensch, der sich die Welt selbst einteilt und einrichtet, tritt nunmehr seinen Siegeszug über das Weltgeschehen an.
Die kantsche Kritik der Vernunft, welche über die "Dinge an sich" nichts aussagen könne, wurde schliesslich im Positivismus und
anderen philosophieschen Richtungen des 20. Jahrunderts aufgenommen. Der Mensch blieb zurück in einer Welt, die er zwar frei
bestimmen und gestalten konnte, aber die für ihn zunehmend zur Kulisse und zur Ware geworden war. ]
Das kritische neuzeitliche Weltbild rief seinerseits Kritik auf den Plan. In Dichtung, Kunst und Philosophie meldeten sich
andere Positionen. Die religiösen Traditionen nahmen entweder die Individualisierung und Wissenschaftlichkeit der Neuzeit an
oder verwehrten sich ihr in einer traditionstreuen Haltung.
Umkreiste die Kritik am neuzeitlichen Weltbild zuerst eher das Thema der Entfremdung und der Entzauberung der Welt (etwa
in den literarischen Genren von Sturm und Drang (Selbstmord) oder der Romantik (Selbstfindung), so nahm die Kritik in
einigen Vertretern der phantastischen Literatur (Science Fiction als mögliche "besere" Zukunft oder als Weltuntergang)
sowie der Horrorliteratur (Geister, dämonische Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten) sogar deutliche kritische Formen an:
Frankenstein: Triumpf der Vernunft oder Überheblichkeit des Menschen? Frankenstein als Schöpfer mit den Mitteln der Wissenschaft, ist den konkreten Problemen seiner Kreatur nicht gewachsen. Szenenbild aus dem Film Frankenstein aus dem Jahre 1931, Regie James Whale, Universal.
[ Frankenstein, der die Frage nach den Grenzen der Wissenschaft auslotet, und Dr. Jekyll, dessen Genius zum eigenen Albtraum wird und nicht das "Gute", sondern das "Animalische" im Menschen freilegt, sind nur frühe Beispiele dieser Neuzeitkritik, welche sich mehr und mehr auf das Weltende ausweiten sollte. Das ist ein Vorgang, der parallel zur Entwicklung des Menschlich-Machbaren läuft und in den Weltuntergangsszenarien der Popkultur mündet. Mit Godzilla, einem echsenartigen Riesenmutanten, der aus atomaren Tests entstand, verarbeitet Japan die Hiroshima-Katasrtophe. Akira, einem im Forschungslabor ausser Konrtolle geratenen Kind, thematisiert einen möglichen 3. Weltkrieg. Der untote Zombie stellt den Menschen als Teil der passiven, willenlosen Konsumgesellschaft dar, dessen Lebensinhalt nur noch das Konsumieren (Fressen) ist. Eine Zusammenstellung moderner Weltuntergangsszenarien finden Sie auf dieser Website unter gegenwart. ]
Einen weiteren Ansatz, der nicht gerade einen Weltuntergang, aber zumindest das Ende des Kapitalismus' thematisiert, bildet der westliche Marxismus, der gegenüber dem selbstorganisierenden und selbstregulierenden politischen System zentrale Kritik übte.
[ Dagegen kann beim klassischen Marxismus nicht von einem Untergangsszenario im eigentlichen Sinne gesprochen werden. Es handelt sich dabei eher um eine Geschichtsphilosophie, deren letzter Zustand eine Art Utopie ist und von einem Ideal aus Kritik am bestehenden Zustand übt. ]
Obwohl in der Vorstellung des 3. Reiches die Idee des tausendjährigen Reiches (Chiliasmus), einer ganzen Heilsgeschichte und der
Geschichtseinteilung des Joachim von Fiore mitspielt, gilt die Ideologie der nationalsozialistischen Partei nicht als endzeiltich.
Sie nutzt die Paradigmen der Apokalypse für ihre eigenen Zwecke:
Die arische Rasse, der das Himmlische Jerusalem und die Erlösung gilt, muss in der vorangehenden "Christusschlacht" durch Krieg und
Entbehrung gehen, dann wird das tausendjährige Reich erstehen. Selbstverständlich konnte die Apokalypse als solche kaum innerhalb
des Nationalsozialismus' wahrgenommen werden. Der totalitäre Anspruch der Ideologie erlaubte keine Nebetöne. Aber im Hintergrund,
als unbewusst schwelender Brei aus Schrecken und Hoffnung schien er das Weltbild der Partei und des Regimes zu bestätigen.
Mehr dazu finden Sie
hier.
Die Postmoderne formuliert den Bruch mit der Moderne und ihre Überwindung in wisenschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht.
Als Beginn der Postmoderne wird oft die Sprengung der vom Architekten Minoru Yamasaki erbauten Sozialsiedlung Pruitt-Igoe in St. Louis
im Jahre 1972 genannt. Die Moderne hatte ihren avantgardistischen Optimismus und ihre frische Innovation längst an den Funktionalismus
verloren und hinterliess eine Spur der Entfremdung und Sinnlosigkeit.
Die Wohnsiedlung in St. Louis, erbaut in den frühen 1950-er Jahren, wurden am 16. März 1972 abgerissen. Ein Ereignis, das den Tod der modernen Architektur einleitete. Der Architekt der Siedlung, Minoru Yamasaki, hat unter anderem auch die Twin Towers erbaut …
Die Postmoderne kann natürlich nicht als Träger apokalyptischer Vorstellungen in Betracht kommen. Sie übt Kritik an der Moderne und weist damit auf mögliche Katastrophen hin. Aber mit ihren Forderungen etwa nach Pluralismus, Hinwendung zur Emotionalität und zum Spiel mit Traditionen befruchtet sie die Popkultur weitaus mehr, als beim ersten Blick angenommen wird. Im Bunde mit der politischen Weltsituation (Arbeitslosigkeit, globale Bedrohungen durch Wirtschaft oder Kriegstechnologie, zunehmende gesellschaftliche Ungleichgewichte) und der drängenden Umweltfrage (Umweltkatastrophen, Klimaerwärmung, Ozonloch), welche den Weltuntergang immer näher rücken und greifbarer machen, entsteht eine Wertepluralismus, der sich bis zur Beliebigkeit und zur No-Future-Stimmung entwickelt.Der Film Der Tag, an dem die Erde still stand ist ein Remake des gleichnamigen Filmes aus dem Jahre 1951 und erzählt, wie ausserirdische Wesen versuchen, die erde vor den zerstörerischen Menschen zu retten. Ausschnitt aus dem Filmplakat, 2008.
Die gegenwärtige Popkultur nimmt Weltuntergangsszenarien in Film und Comix auf – manchmal sogar in Anlehnung an die Offenbarung - und begegnet manchmal mehr manchmal weniger gelungen, den Ängsten unserer Zeit. Eine Zusammenstellung moderner Weltuntergangsszenarien finden Sie auf dieser Website unter gegenwart.Hier ist eine Liste bereits angekündigter Weltuntergänge zu finden.
Hier finden Sie eine interessante Zusammenstellung unterschiedlicher Weltuntergangs-szenarien.
Alles, was wir lieben, geht verloren …; Szenenbild aus dem Katastrophen-Film 2012 von Regisseur Roland Emmerich, 2009.
Der Ablauf von Weltun-tergangsszenarien verläuft nach einem Erzählmuster (Ausgangslage, Problem-stellung, Höhepunkt, Lösung, Untergang (Tragödie) oder Happy End (Komödie)) aufgebaut. Hier finden Sie mehr Informationen zur Dramaturgie und als Illustration die sogenannte Franzsche Pyramide in einer PDF-Datei (44 KB).
Die Welt ist eine Bühne - sogar die Erzählungen von Weltunter-gängen laufen nach einem allgemeinen dramaturgischen Muster ab.
Dieses Bild ist der Website alyssaravenwood.com entnommen.
Möchten Sie einen Blick in die astronomischen Modelle zum Weltuntergang werfen? Hier finden Sie Videos zu den drei hauptsächlichen Modellen,
mit denen die Atrsophysik einen möglichen Weltuntergang erklärt:
Video zum Big Rip (en),
Video zum Big Crunsh (de),
Video zur ewigen Expansion (de,
hier wird besonders der Erzählcharakter der wissenschaftlichen Theorie deutlich: "unsichtbare" Materie, "dunkle" Materie etc.)
Ausschnitt aus dem inzwischen berühmt gewordenen Holzstich, in Camille Flammarions 1888 erschienenem Band L’Atmosphère, Météorologie populaire veröffentlicht.