Weltuntergang
        die   Offenbarung  des   Johannes

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Gnosis

Die Gnosis (von altgriechisch γνωσις - gnosis: „[Er-]Kenntnis“) ist eine Geistes-Strömung im zweiten und dritten Jahrhundert, deren religiöser und leidenschaftlicher Tonus ganz der Abkehr und dem In-Frage-Stellen der Welt galt. Den Menschen verstand sie als ein Wesen, das zwar in der Welt, aber nicht von der Welt ist, sondern einen göttlichen Ursprung hat und wie ein Fremder in die Welt geworfen war. Sie nahm daher teils schwärmerische, teils ernsthafte, radikale Züge an, denn zum einen fühlten sich die Gnostiker schon im jetzigen Leben von der Welt befreit, aber von ihr umso mehr bedrängt und betrogen.


Die gnostischen Evangelien stellen Jesus Christus als Gott dar, dessen Kreuztod darum nur ein rein äusserliches, scheinbares Ereignis gewesen sein soll.
Fragment des Judas Evangeliums, (Quelle: Deutsche Presse-Agentur GmbH)

Aus dieser Stimmung entstanden spekulativ-philosophische Weltsysteme und sektiererische Fundamentalismen, Regeln, an die sich ein göttliches, unter die irdische Welt geworfenes Wesen zu halten hatte.
Die Gnosis ist eine Strönung, von der sich Menschen bis heute ergriffen fühlen, stets im Gegensatz zu Institutionalisierung und Dogmatisierung religiöser Werte und streng dem Experiment und einer leidenschaftlichen Disbalance verschieben. So zählen etwa Baur, Fichte, Steiner oder Künstler wie Goethe und Novalis in das Umfeld gnostischen Denkens. Bei genauerer Betrachtung (die besonders in Peter Sloterdijks zweibändigem Buch zur Gnosis gemacht wird) reihen sich viele Exponenten abendländischer Kultur und Gegenkultur in dieses Umfeld ein.

Weltflucht und Leidenschaft

Auf den ersten Blick scheinen Gnostiker lebensfremd. Aber die Abkehr von der Welt, die sie vehement vertreten, richtet sich auf die Fülle des göttlichen Seins, deren Wirklichkeit die irdische bei Weitem übersteigt und in deren Licht die Welt wie ein unseliges Jammertal da steht. So verkünden Gnostiker denn auch leidenschaftlich und oft auch in sehr irdischen Bildern von himmlischen Sphären und göttlicher Wirklichkeit. Unter ihren Schriften und zeugnissen finden sich poetische und spekulative Schriften neben spröden Anleitungen zu richtiger Lebenshaltung in Enthaltsamkeit und Abgeschiedenheit von der Welt.


Gnostiker zogen sich oft in die Abgeschiedenheit von Steppen, Wüsten oder Wäldern zurück
Im Bild sehen Sie als Beispiel das Felsenkloster von Zelve in Kappadokien. Kappadikien spielte zur Zeit Johannes von Patmos eine grosse Rolle als Rückzugsort für Bedrängte, Gnostiker, Eremiten und Mystiker. Als Heimat bedeutender Kirchenväter und Zentrum des östlichen Mönchtums ist Kappadokien vor allem für seine Felsklöster und reich ausgemalten Höhlenkirchen berühmt.

Ihre Leidenschaft und ihre ständige Gegenposition zu religiöser Verbindlichkeit und Institutionalisierung hat den Gnostikern schon von Anfang an die ebenso leidenschaftliche und harsche Kritik der Kirchenväter eingeheimst, so dass man sogar sagen kann, die Gnosis habe durch ihren Widerstand und ihre bunte Auffächerung undogmatischer Religionsentwürfe, die teilweise wie Versuche, Andeutungen oder simple Meinungen Experimente daher kommen, die Dogmatisierung der christlichen Lehre vorangetrieben und - über den Umweg eines Gegenbildes - befruchtet. So, wie man sagen darf, dass in der griechischen Philosophie im Grundsatz alles durchdacht worden ist, was in späterer Zeit je gedacht wurde, darf die Gnosis für sich in Anspruch nehmen, bereits einmal alle "anderen", unkirchlichen Blickwinkel auf das Mysterium des Christus duchgespielt zu haben.


In den Augen der Gnostiker war Christus reiner Gott und konnte deshalb nicht auf menschliche Art gelitten haben oder gestorben sein. Christus als Allherrscher und Richter, wie ihn die Apokalypse im Unterschied zu den Evangelien beschreibt, kommt dieser Vorstellung recht nahe. Diese Nähe des Christusbildes in der Apokalypse zur gnostischen Lehre war denn auch der Grund für die zögerliche Aufnahme der Apokalypse in den neutestamentlichen Kanon.
Christus als Allherrscher (Pantokrator), Mosaik, Ravenna.

Die Gnosis spielt daher eine eminent wichtige Rolle im Verständnis neutestamentlicher Texte, die in grundlegenden Bereichen eine präzidiert nicht-gnostische Spiritualität vertreten. Die Hauptunterschiede zwischen neutestamentlicher und kanonischer Lehre (die gleichzeitig auch die Hauptmerkmale der Gnosis sind) lassen sich in fünf Themen darstellen:

Inhaltliche Unterschiede zwischen gnostischer und neutestamentlicher Lehre:
gnostische Lehre neutestamentliche Lehre
Es gibt den allumfassenden und vollkommenen Gott, der weit über allem Irdischen und Unvollkommenen steht.
Folge: zwischen der unvollkommenen Welt und Gott entsteht ein tiefer, grundsätzlicher Graben
Es gibt einen allmächtigen Gott, der sich immer wieder neu mit den Menschen beschäftigt und auf deren Leben Bezug nimmt, indem er eingreift, einen Bund schliesst, gegen, mit oder für die Menschen kämpft, ihnen vergibt und sie liebt.
Folge: Die Gottheit greift in den menschlichen Alltag ein und die Menschen greifen in die Wirklichkeit Gottes ein (Auseinandersetzungen, die Gott mit Moses, Abraham u.a. hat, und zu deren Schluss Gott seine Absichten ändert).
Ein Wesen, das sich aus dem Umfeld des vollkommenen Gottes ablöst, erschafft die Welt. Es ist ein unvollkommener Gott und seine Schöpfung ist eine unvollkommene. Sie ist die materielle, irdische Welt. Dieses Wesen nennen Gnostiker den Demiurgen oder den Schöpfergott.
Folge: Zwischen Schöpfung und Erlösung besteht keine Kontinuität. Die Schöpfung ist nur ein ungewollter Zwischenfall.
Gott schöpft die Welt als Paradies. Weil der Mensch mit Willensfreiheit ausgestattet ist, kann er sich zwischen Gut und Böse entscheiden. Das Böse kam Zustande, weil auch himmlische Wesenheiten mit Willensfreiheit ausgestattet sind und sich einige gegen den Schöpfergott gewendet haben und eigene Interessen verfolgen.
Folge: Zwischen Gott und Mensch, Himmel und Erde, Schöpfung und Erlösung besteht eine Kontinuität. Der freie Wille und die Verantwortung kommen ins Blickfeld.
Der Demiurg sperrt den Menschen und die Schöpfung in die Materie ein. Das Irdische ist unter seiner Herrschaft das Gefängis des Geistes.
Folge: Eine Abwendung von der Welt entsteht.
Das menschliche Leben wird zum Prüfstein, an dem sich die Gottesnähe ("Gerechtigkeit") jedes einzelnen zeigt.
Folge: Der Skeptizismus gegen "gottlose" Menschen entsteht.
Der eigentlichen und innersten Natur nach sind aber Schöpfung und Mensch nicht von der ursprünglichen Vollkommenheit Gottes zu trennen. Dieser innere Kern ("Samenkorn") muss sich der Mensch wieder bewusst machen und sich von allem Irdischen lösen, um wieder in seine Bestimmung zurück zu finden.
Folge: Da in jedem Menschen der göttliche Grund gesucht wird, gehen der Blick Gemeinschaft und die Liebe verloren. Ausserdem verstärkt sich die Trennung von Geist und Materie, Seele und Körper bis zum Dualismus.
Der Mensch wird zwar als "Kind" und "Ebenbild" Gottes verstanden, aber die Unfähigkeit, Gutes zu tun, muss er in seiner eigenen Willensfreiheit suchen. Die Willensfreiheit kann den Menschen zu unangebrachter Arroganz und zum Egoismus verleiten. Daher muss sie mit dem empfangenden Glauben und dem wirken des Geistes zu Gott und Jesus Christus hinblicken.
Folge: Ein ambivalentes Verhältnis zum freien Willen und zur Individualität.
Christus kann daher nicht der Sohn des Schöpfergottes sein (der alttestamentliche Gott, JHWH), sondern ist als rein geistige Wesenheit der Sohn des vollkommenen Gottheit und hat sich auch nicht mit der irdischen Welt verbunden.
Folge: Eine andere Christologie entsteht (Jesus nur als göttliches Wesen oder nur ale menschliches Wesen).
In Christus taucht Gott noch tiefer in die menschliche Wirklihckeit unter. In ihm überbrückt Gott nicht nur die Kluft zu den Menschen, sondern lebt das gottgemässe Leben vor, das von Liebe geleitet ist.
Folge: Betonung der Liebe (nicht Weisheit oder Vollkommenheit) und die provokative Vorstellung von einem leidenden, nicht allmächtigen Gott.

Belehrungen aus höheren Sphären

Dem welt- und gegenwartabgewandten Blick der Gnosis entspricht es auch, umso mehr von himmlischen Sphären zu lehren. Die Gnosis trägt viele der Grundeinstellungen der Mysterienkulte mit in die spätantike Zeit.

  • Den Blick rückwärts gerichtet
    Die Gnosis richtet den Blick in die vollkommenen und erhabenen himmlischen Sphären, aus der die Menschen einst hervor gegangen waren und mit denen sie immer noch in tiefem Verwandtschaftsverhältnis stehen. Der Blick richtet sich in eine vollkommene Vergangenheit - und während die Gegenwart nur irdische Drangsal ist, die es zu überwinden gilt, winkt die Zukunft nicht als ein neuer, sondern als der einstige, alte, nur eben verschüttete Rein-Zustand der Seele. Gegenwart und Zukunft haben in der Gnosis eine ver Vergangenheit untergrodnete Stellung. Die Gegenwart ist schlecht und die Zukunft ist der ehemalige Zustand.

  • Lieber Weisheiten als Liebeswerk
    Die gnostische Tendenz ist stets an der Gemeinschaft vorbei auf einen spirituellen Erkenntnisgegenstand gerichtet. Arme, Waisen und Wittwen erscheinen als Teil der unvollkommenen Welt, welche die Gnosis nicht verändern, sondern überwinden will. Diese Eigenart hat gerade den vehementen Widerspruch von kirchlicher Seite hervorgerufen. Allerdings wurde dabei der experimentelle Charakter der Gnosis übersehen, die gerade weil sie nicht am Sozialen interessiert war, bunteste Formen von Gegenkultur und Gegenentwürfen produzierte.

Die Gnosis und die Apokalypse

Einer oberflächlicher Beurteilung kann die Apokalypse als gnostisch erscheinen, denn in drei Bereichen bewegt sich das Werk des Johannes auf Patmos in eindeutiger Nähe zur Gnosis: die Trennung von Gut und Böse, die Offenbarung geheimer Vorgänge und die erschütternde Lieblosigkeit, mit der die Vorgänge beschrieben werden, und dem damit verbundenen Bild eines gnadenlosen, unbarmherzigen Gottes.

  • Die Trennung von Gut und Böse
    Die Apokalypse öffnet einen tiefen Graben zwischen guten und bösen Menschen. Im Endgericht werden die bösen Menschen sogar dem ewigen Feuerpfuhl anheimbefohlen.Auf der anderen Seite stehen Gott und Teufel einander als unerbittliche Gegner gegenüber. Wenn aber Gott allmächtig ist, warum hat er dann einen Gegenspieler? Und wenn Gott die Menschen geschaffen hat, warum lässt er sie dann einfach in die Hölle fahren?
    Im Gegensatz zur Gnosis führt Johannes das Böse auf den freien Willen zurück, nicht auf einen bösen Schöpfergott und da der freie auch einen Eigenschaft der Engel ist, kann der Teufel in der Welt wirken. Gut und Böse sind aber nicht zwei Mächte, welche die Welt und die Menschen umkämpfen, sondern die Willensfreiheit - und damit die Möglichkeit zum Bösen - liegt in Gottes Wille. Denn was wäre Liebe, wenn sie nicht eine freie wäre? Dazu gehört die Gefahr des Bösen und des Fehlers.

  • Die Offenbarung geheimer Vorgänge
    In der Offenbarung lösen sich Visionen und Auditionen in verschlungener Abfolge und bildgewatligen Szenen ab. Es erstaunt nicht, dass sich diese Schrift bei der ersten Betrachtung wie die Geheimschrift einer weltfremden Gemeinschaft oder gar einer Sekte ausmacht.
    Allerdings macht Johannes keinen Hehl aus seiner Person und adressiert sein Werk gleich an die Kirche seiner Gegenwart. Bei besserer Sachkenntnis erweisen sich sehr viele Motive der Visionen, die Johannes empfängt, als Kultur-Elemente, die in jener Zeit ohne Weiteres verstanden werden konnten. Die Bezeichnung "Offenbarung" deutet an, wie wenig Johannes eine geheimen Schrift zu schreiben beabsichtigte.

  • Der unbarmherzige Gott
    Der in der Apokalypse beschriebene Weltuntergang rollt unaufhaltsam und gnadenlos ab. Alles geschieht nach dem Willen Gottes. Die Engel sind blosse Ausführer im Heilsplan Gottes. Christus trohnt als Richter über dem Jüngsten Gericht. Wo ist da der menschliche Wind, der durch die Evangelien rauscht, zu finden? Die Nähe zur gnotischen Welt- und Menschenfremde scheint gegeben.
    Der Blick Johannes ist angesichts der Schrecken, die er beschreibt, tatsächlich kühl und gefühlsslos. Wir erfahren seine Haltung gegenüber den Abläufen nicht. Das war auch nicht seine Absicht. Enthoben in die drei Himmel, schildert er getreu die Vorgänge, die ihm geoffenbart werden.
    Johannes blickt von der grundsätzlichen Heilstat Christi, die sich im Leben, Sterben und Auferstehen vollzogen hat, in die Zukunft der Menschheit. Die Barmherzigkeit ist bereits getan. Das Liebeswerk schon geschehen. Es gehört unumstösslich zur Welt. Johannes will uns schildern, was ausgehend von dieser Bezeugung der Liebe Gottes mit der Menschheit geschehen wird. Dabei spielt das Liebeswerk Gottes den Anfang eines Heilsprozesses, der in der Ankunft des Neuen Jerusalems und der Gegenwart Gottes enden wird.


Notizen zu Weltuntergängen:





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