Übersicht
Kein anderes Buch der Bibel kann auf eine so umfangreiche Wirkungsgeschichte zurückblicken wie die Johannesoffenbarung.
Sie übertrifft in der Zeit der alten Kirche und während des Mittelalters bei weitem die Bedeutung der Paulusbriefe und der
Evangelien.
Mehr zu der Rezeption der Apokalypse in der Alten Kirche finden Sie auf dieser Website unter
Mittelalter 1.
Jesus scheidet den Spreu vom Weizen … Szene aus dem Jüngsten Gericht. Als Weltenrichter scheint uns
Christus sehr distanziert und übermächtig. Ist er ein endzeitlicher Terminator? Oder verbirgt sich dahinter mehr?
Illumination aus dem …
Und doch überrascht es kaum, dass dieses geheimnissvolle Buch nicht ohne Widerstand in den Kanon der biblischen Bücher
aufgenommen wurde. Seinen verschlungenen und vieldeutigen Aussagen und dem mächtigen Bild des Jesus Christus als Allherrscher
(Pantokrator), das so ganz der Botschaft der Evangelien zu widersprechen scheint, begegnete zunächst vor allem die östliche Kirche
mit Skepsis.
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Kanonisierung.
Die Winde hören auf zu wehen, die Sterne stürzen vom Himmel, die sündige Menschheit stirbt unter den Rossen der Apokalyptischen Reiter das Faksimile einer mittelalterlichen Johannes-Apokalypse aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. (Foto: EPD-BILD)
Gründe dafür sind einerseits in der kraftvollen Bildsprache der Offenbarung selbst zu suchen. Bilder wirken fruchtbarer
auf die Menschen - inspiriedender, vielschichtiger, geheimnissvoller - selbst nachdem der neuzeitliche Rationalismus
seinen Siegeszug über die abendländische Kultur angetreten hatte.
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Neuzeit.
Denoch: Bilder und Vorstellungen wie sie die Offenbarung vermittelt, fanden in alten Zeiten ernsthaftigere und intensivere
Aufnahme, als wir das für die Neuzeit annehmen können. Leider konnte auch hier die Kirche nicht immer dem missbräuchlichen
Einsatz biblischer Glaubensinhalte widerstehen und bestärkte damit das Misstrauen gegenüber dieser Urkunde.
Mehr zum Missbrauch der Apokalypse finden Sie auf dieser Website unter
Mittelalter 2.
Die Darstellung endzeilticher Schrecken kam zwar dem Bedürfnis nach bildhaftem Erleben nach, aber konnte
von kirchlichen Machtträgern leicht zu ihren Gunsten missbraucht werden. Die Angst vor Qual und Hölle spülte der Kirche
auch noch die letzten Besitztümer den Ärmsten in die eigene Tasche.
Detail aus dem Bild "Das Jüngste Gericht" (auch "Triptychon des Weltgerichts") von Hans Memling, 1467 - 1471, Ölauf Holz.
Nationalmuseum Danzig (eine Kopie ist in der Gemäldegalerie in Berlin).
Die Offenbarung wurde zunehmend als Ansammlung irrationaler und geheimniskrämerischer Ideen und als Auswuchs christlicher
Drohschrift mit beänstigenden Inhalten gelesen und stand spätestens durch die Kritik der Reformation schwer in Frage.
Mehr zur reformatorischen Kritik an der Apokalypse finden Sie auf dieser Website unter
Mittelalter 2.
Im Rückblick schien den Reformatoren, den Humanisten und den Vertretern der Renaissance das Mittelalter
als dunkel, veraltet, und unter der irrationalen Herrschaft der Kirche. Die Apokalypse wurde zur Schrift der katholischen
Willkür, zum Gegenbild paulinischer Gerechtigkeit- und Gnadentheologie.
Detail aus Rogier van der Weydens Polyptichon “Das Jüngste Gericht”, 1446- 52, Hôtel-Dieu, Beaune, Frankreich.
Ein zweiter Grund für die grosse Bedeutung der Offenbarung in der Alten Kirche und im Mittelalter liegt im Thema, auf das
sie hindeuten will: die Zukunft der Menschen und der Welt, ein Thema, das die Menschen aller Kulturen immer wieder beschäftigte
und das sich in schweren Zeiten immer wieder zu bestätigen schien.
Mehr zu Weltuntergangsszenarien in anderen Kulturen finden Sie auf dieser Website unter
weltuntergänge.
Zur Wirkungsgeschichte der Apokalypse gehören die Interpretationsansätze, mit der an sie herangegangen wurde und wird. Sie sind historisch nacheinander aufgetreten und haben sich bis heute stark vermischt. Im Folgenden sollen fünf verschiedene Ansätze aufgezeigt werden. Sie sind chronologisch nach ihrem Auftreten aufgelistet, kommen aber heute teils in Reinform, teils mit anderen Ansätzen gemischt vor.
Die mystifizierende Deutung geht davon aus, dass sich geistige Vorgänge im äusseren Kulturleben abspielen. Für diese Deutung spielen sich
die Vorgänge der Apokalypse nicht geistig in Jahrtausenden ab, sondern in allernächster Zeit ganz äusserlich sichtbar im alltäglichen
Leben.
Das allgemeine Urchristentum ist zunächst davon ausgegangen, dass Jesus sehr bald und völlig real in Wolken vom Himmel herab wieder kehren
würde. Diese Auffassung wird heute als Naherwartung bezeichnhet. Als das nicht eingetreten war, wurde die Wiederkehr Christi (Parusie) mit
dem in der Apokalypse erwähnten tausendjährigen Zeitraum zusammen genommen und um tausend Jahre verschoben. Um die erste Jahrtausendwende
wurde darum auch weniger mit einem Weltuntergang gerechnet, als das Erscheinen des Antichristen erwartet, welches die Wiederkehr Christi
einläuten soll. Als auch diese Erscheinung ausgeblieben war, wandte sich die Beschäftigung der Apokalypse der symbolischen - und später
der allegorischen Deutung zu.
Die meisten Prohpezeihungen, die den Weltuntergang für das Jahr 2012 erwarten, bedienen sich dem mystifizierenden Ansatz. Geistige Wirklichkeit soll die Welt wieder in Ordnung bringen. Die Verantwortung der Menschen wird ohne weiteres ausgekippt.
Dieser Ansatz findet auch heute viele Anhänger und begleitet die abendländische Kultur am Rande konstant. Hier mischen sich das teilweise
ganz berechtigte Misstrauen gegenüber Regierungen und Machthabern mit Idee von geheimem Wissen. Die Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen
Konventionen und Entwicklungen weitet sich oft zu einer Hoffnung auf apokalyptische Vergeltung und endliche Gerechtigkeit, die der Weltuntergang
denjenigen bereiten soll, die auf Kosten anderer leben. Dieser Ansatz eignet sich auch besonders gut für Actiongeladene Filme, in denen
einzelne die Welt vor dem Untergang retten.
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gegenwart.
Dieser Ansatz hält zwar daran fest, dass die Wirklichkeit Gottes unsere Welt mitbestimmt, aber
hat natürlich nicht die Kraft, ein Werk wie die Offenbarung in ihrem Zusamenhang zu deuten, sondern fällt immer wieder in das
Erlebnis der eigenen Ohnmacht und der Mystifizierung äusserlicher Vorgänge zurück. Er stellt schliesslich die Eigenverantwortung des Menschen
stark in Frage.
Im Zuge der Identifizierungsversuche um das Erscheinen des Antichristen entstanden auch kirchenkritische Überlegungen, wie sie in der
Philosophie Joachim von Floris' auftreten. Floris unterscheidet zwischen einem inneren (esoterischen) und äusseren (exoterischen)
Christentum, wobei das Äussere, das sich in Struktur und Institution manifestiert, das innere, eigentliche Christentum in seiner Freiheit
hindert und darum in den Bereich des Antichristen gehört.
Diese Gedanken sind es denn auch, die im Protestantismus und in der Zeit der Glaubensspaltung Schule gemacht haben. Auf protestantischer
Seite wurde im Papsttum der Antichrist ausgemacht. Die katholische Seite sah hinter Luther und seiner "Irrlehre" den Antichristen wüten.
(Links) Eine protestantische Karikatur aus dem 16. Jahrhundert stellt den Papst Alexander VI. als Teufel dar. (Rechts) Eine katholische Karikatur des 16. Jahrhunderts stellt Martin Luther als Dudelsack dar, der von Teufel gespielt wird. Jede Partei bezeichnete die andere als Antichrist …
Die konfessionelle Deutung dient bis heute religiösen Gemeinschaften der Abgrenzung von anderen, so genannt fehlgeleiteten religiösen
Gemeinschaften. Ihr Prinzip ist sehr simplifizierend und hartnäckig: die eigene Gemeinschaft hütet die eigentliche Form des Christentums,
während die anderen Gemeinschaften sich im Bereich des Antichristen befinden und als Versuchte im Endgericht der Hölle anheimfallen werden.
Diese Deutung mag zwar die Forderung nach einer bewussten Lebenshaltung ernst nehmen, aber bei näherer Betrachtung hält sie dem Anspruch
der christlichen Selbstkritik, wie sie Paulus wiederholt vornimmt, nicht stand. Ausserdem kann diesre Ansatz niemals als Ausgang einer
umsichtigen (geschweige einer wissenschaftlichen) Interpretation der Offenbarung gelten. Dafür ist er viel zu paranoid und zu moralisierend.
Der im Laufe des 19. Jahrhunderts aufkommende Ansatz einer historisch-kritischen Deutung entdeckte viele Zusammenhänge zwischen der
Offenbarung und anderen Kulturen. Auf ein Mal stand die Apokalypse nicht mehr im luftleeren Raum, sondern liess sich auf dem Hintergrund
persischer, ägypischer, hellenistischer Kulturen umfassender verstehen. Auch die Bedeutung der jüdischen Tradition, wie sie im Alten
Testament festgehalten war oder in den zeitgleichen jüdischen Apokalypsen verfasst wurde, wurde eingehend untersucht und entdeckt.
Dieser Ansatz ist zwar in der Lage, die Apokalypse in etlichen Belangen auf eine Grundbotschaft hin zu deuten und kann für eine seriöse
Deutung nicht unbeachtet bleiben. Aber er geht oft von der im Zusammenhang mit der Apokalypse fragwürdigen Annahme aus, dass die Realität
für Menschen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte dieselbe war, wie für uns heutige Menschen.
Grund für diese Annahme ist die neuzeitliche Erkenntnistheorie, wonach nur dasjenige als objektiv wahr gilt, was allgemein zugänglich
und verifizierbar ist. Eine solche Ausgangslage macht es natürlich schwer, die Offenbarung anders als ein rein historisches Werk gelten
zu lassen, denn die in der Apokalypse geschilterten Inhalte teilen kaum allgemein zugängliche Wirklichkeit mit. Die Schwierigkeiten kreisen
um folgende Themenbereiche: die Möglichkeit einer sicheren Aussage über die Zukunft; die Möglichkeit einer im Geiste wahrgenommenen Wirklichkeit
und die Existenz geistiger Wesen, welche mit Menschen kommunizieren.
Die Thronsaalvision des Johannes wird meistens auf die Vision Ezechiels von Gott auf dem Sonnenwagen zurück geführt.
Die Ähnlichkeiten beschränken sich auch im Text auf die vier Tiere. Ihre Bedeutung lässt sich aber erst im Zusammenhang der babylonischen
Medizin erklären. Merh zur babylonischen Medizin finden Sie auf dieser Website unter
Kulturen.
Mehr zu den Parallelen von Texten finden Sie auf dieser Website unter
kleine synopse
(Links) Hans Memling, Altar der mystischen Verlobung der Heiligen Katharina (1474-79); Memlingmuseum,
Sint-Janshospitaal, Brügge. (Rechts) Raffael (1518), Die Vision des Ezechiel, Florenz, Palazzo Pitti.
Die historisch-kritische Auslegung hat sich deshalb darauf beschränkt, die bildlichen Motive, die in der Apokalypse beschrieben werden,
auf frühere und ähnliche Motive anderer Kulturen zurückzuführen. Johannes wird damit zum Redakteur, der Bildvisionen anderer Kulturen zu
einem gewaltigen Werk zusammenfügt und seiner Botschaft unterordnet. Leider wird damit der Anspruch des Johannes nicht im Geringsten ernst
genommen.
Viel störender für die Auslegung der Apokalypse ist aber die nur scheinbare Erklärung der Bildmotive. Sie werden zwar durch ähnliches Auftreten
in frühere Kulturen auf eine Erstmaligkeit zurückgeführt, ohne aber dort genügend erhellt zu werden. Es reicht nicht, wenn beispielsweise die
Thronsaalvision in Kapitel 4 der Apokalypse mit Ezechiel 1 und Jesaja 6 als deren literarische Vorbilder verglichen wird. Erstens sind die Parallelen
eher assoziativ und ungenau und andererseits trägt diese Rückführung zur Erklärung der Apokalypse nichts wirklich Substantielles bei. Es genügt nicht,
die Bildotive so lange zurückzuführen, bis sie sich im Nebel der Vorzeit verlieren.
Die psychologische Deutung sieht in der Offenbarung seelische Inhalte, die ins Bewusstsein drängen und in traumartigen Szenerien seelische
Wirklichkeiten mitteilen. Eine solche Deutung kann viele Bezüge zu Mythologien und Bildern des Unterbewussten herstellen und stellt die
müssige Wirklichkeitsfrage auf eine neue Ebene, indem sie ihr Realität zugesteht - nämlich eine seelische. Dieser Ansatz kann bei einer
ernsthaften Auseinandersetzung mit der Apokalypse nicht fehlen, denn nicht zuletzt ist auch die seelische Realität ein Teil der vielfältigen
Wirkungsgeschichte, welche durch dieses Werk ausgelöst worden war. Mehr zu diesem Ansatz finden Sie auf dieser Seite unter
psychologie.
Wenn Visionen aus dem Bereich der Seele kommen - steigen sie dann aus dem Unterbewussten wie aus dem Meer auf, oder senken sie sich aus einem Transzendenten Teil wie vom Himmel herab in das Bewusstsein?.
Die spirituelle Deutung geht von Spiritualität aus, das heisst, sie schliesst die Möglichkeit einer geistigen Wirklichkeit nicht aus.
[ Spiritualität (von lat. spiritus ,Geist, Hauch‘ bzw. spiro ,ich atme‘ – wie altgr. Ψυχω Psycho, bzw. Ψυχη Psyche) bedeutet im weitesten Sinne Geistigkeit und kann eine auf Geistiges aller Art oder im engeren Sinn auf Geistliches in spezifisch religiösem Sinn ausgerichtete Haltung meinen. Spiritualität im spezifisch religiösen Sinn steht dann auch immer für die Vorstellung einer geistigen Verbindung zum Transzendenten, dem Jenseits oder der Unendlichkeit. ]
Die spirituelle Deutung kehrt einer rationalen Erklärung allerdings nicht den Rücken, nur weil sie geistliche Erfahrungen (Visionen, Auditionen, Offenbarungen u. Ä.) für möglich hält. Sie nimmt aber von einer unbedingten allgemeinen Einsichtigkeit und Verifizierbarkeit Abstand. Obwohl alle Erfahrungen von allen Menschen gemacht werden können, braucht es für geistige Erfahrungen ebnso eine Entwicklung (Schule), wie für andere menschliche Fähigkeiten.
Franzikus hatte Visionen und Gotteserlebnisse, die ihn bewogen, sein Leben völlig neu zu gestalten und zu führen. Der spirituelle
Ansatz lässt die eigene Person nicht aus dem Spiel, sondern bringt sich als ganzen Menschen ein.
Portrait des Franz von Assisi, Giovanni Cimabue, Fresko, um 1280, in der Unterkirche der Basilika San Francesco in Assisi.
Geistliche Erfahrungen werden in einem bestimmten Zustand und einem bestimmten Umfeld gemacht. Bei Johannes vernehmen wir, dass er schon für das, woran er glaubt eingestanden und auf eine Insel verbannt worden ist. Bei ihm gehören also eine innere Festigkeit und eine Art Isolation zum Rahmen, in dem er die Erfahrung einer Offenbarung macht. Viel mehr erfahren wir über Johannes selbst nicht. Aber die Zeit, in der er gelebt und geschrieben hat, bietet an verschiedenen Orten Einblick in das sirituelle Leben der Menschen - und eine spirituelle Deutung wird sich die Untersuchung dieser geistigen Erfahrungen vornehmen müssen.
Mehr dazu erfahren Sie auf dieser Website unter mysterien, unter gegenwart und unter visionen.
Mehr noch: wer eine spirituelle Deutung vornimmt, kann nicht darum herum kommen, sich selber auf den Weg zu geistlichen Erfahrungen zu machen.
Er wird das eigene Leben und die eigene Person nicht völlig aussen vor lassen können. In meditativer Ruhe und im alltäglicher Aufmerksamkeit
wird er die Inhalte der Offenbarung mit sich tragen - im Herzen, im Handeln und im Kopf.
Dieser Kurs nimmt die Ergebnisse der historisch-kritischen, der psychologischen und der spirituellen Deutung auf und gelangt so zu einem
umfassenden Bild der Offenbarung.
[ Die Offenbarung wird verständlich, wenn man einerseits das Umfeld kennt, in dem sie entstanden ist, und wenn man andererseits sich selbst der
Wirklichkeit des Geistes aussetzt und einen Weg der geistigen Entwicklung geht. Besondere Beispiele dafür sind Mystiker und Mystikerinnen
wie Franziskus von Assisi, Hildegard von Bingen, Simone Weil und viele andere, die zwischen der Botschaft der Nächstenliebe und ihrem
eigenen Dasein keinen grossen Unterschied mehr gemacht haben.
Wir können uns bemühen und zumindest die Realität einer geistigen Wirklichkeit
ernst nehmen, oder vielleicht Inhalte der Apokalypse einfach auf uns wirken lassen, ohne gleich Angst und Ungerechtigkeit zu empfinden, oder
im Hinblick auf die Apokalypse einmal mehr die Aufgabe der Menschheit ins Auge zu fassen, nicht die eigene persönliche Aufgabe, und dabei die
Liebe für das Ganze zu empfinden - die Menschen … die Welt … die Himmel … ]