Semitisch-jüdische Religion und Kultur
Mal’ak im Alten Testament
Die Bezeichnung „Mal'ach“ für Engel wird erstmals in Kapitel 19 des Buches Genesis genannt, nämlich in der Erzählung, die von der Flucht Lots aus Sodom handelt. Engelsberichte sind jedoch schon deutlich älter.
Das Alte Testament beschreibt zwar Engel als himmlische, mit Bewusstsein begabte Geistwesen, aber sie verzichtet weitgehend auf ein Ausmalen dieser Himmelswelt, die in anderen Religionen damals verbreitet war. Viel wichtiger ist im Alten Testamtne die Funktion der Engel, nämlich den Menschen Gottes Wort, Gegenwart, Absicht und vollgültigen Willen mitzuteilen. Darum erscheinen Engel in der Bibel oft einfach als „Boten Gottes“ in menschlicher Gestalt. Sie sind ohne Zweifel souverän, den Menschen weit überlegen und nicht an die Schranken und Bedingungen der menschlichen Sinnenwelt gebunden: aber diese Fähigkeiten treten meist hinter ihrer Botschaft zurück.
Die himmlischen Heerscharen
Das Alte Testament stellt sich das Umfeld Gottes oft sehr belebt vor. Gott ist umgeben von Dienern (Hiob 4, 18), auch als “Heilige” (Hiob 5, 1; Psalm 89, 6) oder “Gottessöhne” (5. Mose 32, 8; Ps 89, 6) bezeichnet.
Die Cherubim (Psalm 80, 2; Psalm 99, 1) stützen Gottes Thron, bewegen seinen Wagen (Ezechiel 10), bewachen mit dem Flammenschwert das Paradies (1. Mose 3, 24) und die Bundeslade (2. Mose 25, 18f; 1. Könige 6, 23 - 29).
Die Seraphim besingen Gottes Herrlichkeit (Jesaja 6, 3). Die himmlische Schar befolgt gehorsam Gottes Weisungen (Psalm 103, 20), stellt die Verbindung zur Erde her (1. Mose 28, 12) und beschützt und trägt die Menschen (Psalm 91, 11 - 13).
In Gen. 6, 2-4 tauchen die sogenannten Gottessöhne auf, die mit sterblichen Frauen verkehrten und dadurch „Riesen“ oder auch „Nephilim“ hervorbrachten.
Die antike Mythologie wie z. B. im apokryphen Buch Henoch dachte hierbei allgemein an Geistwesen. Im Speziellen wurden hierbei die gefallenen Wächter unter Führung von Azazel gemeint, die sich Gott abgewandt haben. Das Motiv wird durch den Kontext, in den es gestellt wurde (chronologisch vor der Sintflut), entmythisiert: Gemeint sind hier die „Helden der Vorzeit“, die ersten zehn Generationen Menschen von Adam bis Noach, die zwar besonders lange lebten, gleichwohl aber sterblich waren. „Gottessöhne“ sind für die Bibel zunächst alle Menschen, die ihre Gottebenbildlichkeit auch nach dem Sündenfall behalten (Gen. 1, 27).
Im Buch Ijob (um 250-200 v. Chr.) tauchen die Gottessöhne erneut auf, wobei es sich um eine Versammlung von Geistwesen, darunter auch Satan, handelt. Später erwähnt Gott die Gottessöhne nochmals als die ersten, die ihn mit den Sternen lobten – offenbar noch vor der Schöpfung der Menschen (Hi. 38, 7). Hier werden Vorstellungen einer Engelwelt sichtbar, die der Schaffung der Menschenwelt vorausgeht und die Geschicke der Menschen mitbestimmt.
Daneben gibt es auch die Todesengel und die Racheengel, in denen der Zorn Gottes Gestalt gewinnt. Vor allem aber bilden die Engel den „Hofstaat“ Gottes und seine „Heeresmacht“, mit dem Gott Zebaoth, der „Herr der Heerscharen“, für und manchmal auch gegen Menschen streitet.
In der nachexilischen Literatur wird klar unterschieden zwischen den guten Himmelswesen und den Dämonen samt Satan (Sacharja 3, 1 - 2).
In den apokolyptischen Schriften erhalten sie schliesslich Aufgaben und Namen nach ihrer Funktion: Michael, dem höchsten aller Engel, wird die Gemeinde anvertraut (Daniel 10, 13; Daniel 12, 1), Gabriel dient als Botschafter (Daniel 8, 16; Daniel 9, 21ff) und Raphael als Beschützer (Tobit 3, 17).
In der späten Vision vom Endgericht (Dan. 7, 1-14, um 170 v. Chr.) dagegen bleiben die Throne, die um Gottes Thron aufgestellt werden, leer. Von Engeln ist hier erst nach dem Erwachen des Sehers Daniel die Rede: Sie deuten ihm das Gesicht, ohne dass sie selbst darin eine Rolle spielen. Die Menge ohne Zahl, die vor Gottes Thron versammelt ist (Vers 10), sind keine Engel, sondern die, die im Endgericht bestehen und Gott anbeten.
Daneben kommen auch Schutzengel für bestimmte Menschen und Menschengruppen vor (Psalm 91; Daniel 6,22) oder Geleitengel, die Menschen begleiten wie im Buche Tobias oder in Psalm .
Eine besondere Bedeutung haben Engel auch als Überbringer von Heils- oder Gerichtsbotschaften Gottes (etwa im Alten Testament bei der Zerstörung Sodoms, oder im Neuen Testament bei der Geburt Jesu und bei Jesu Auferstehung am Ostermorgen).
Auch Gott selbst erscheint auf der Erde in Engelsgestalt, etwa vor Hagar (1. Mose 16, 7 - 13), vor Abraham (1. Mose 22, 11 - 18), vor Mose (2. Mose 3, 2ff) und auch vor dem ganzen Volk Israel (Richter 2, 1 - 4).
Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang der sogenannte Engel des Bundes, der Hagar, Abraham, Jakob, Moses, Gideon und Elija erscheint.
Wirkungsgeschichte
Im alten Testament ist nur vereinzelt von Engeln die Rede. Nimmt man aber neben der Rede von Boten (malak) noch die Rede von weiteren Gott dienenden Wesen hinzu - Kerubim, Seraphim, Hajjot, Bene haElohim, Qedoshim, Irin, Sarim, Ruhhot, Ofannim, Galgallim, Merkabot etc -, kann man auch für die hebräische Bibel bereits von einer entworfenen Angelologie sprechen, die zum Vorbild späterer Entwicklungen werden konnte.
Im frühen, antiken und mittelalterlichen Judentum, das sich unter anderem in apokryphen Büchern und in der Philosophie Philo von Alexandriens niedergeschlagen hat, entwickelt sich eine noch reichere Tradition, die als eine Systematisierung des Volksglaubens erscheint, wie sie parallel auch im griechischen Kulturmilieu zu beobachten ist. Die jüngere Forschung nimmt an, dass dieses Anwachsen auch ohne (v.a. ugaritische) Fremdeinflüsse zu erklären ist.
Die Engellehre (Angelologie), die spätestens im Alten Testament erste Formen annimmt, gehört zur Wirkungsgeschichte der Bibel insgesamt und wird in Abschnitt 4. Ordnungen der Engel ausführlich erwähnt.
Folgerungen
Die Engel werden im Alten Testament nicht systematisiert. Sie erscheinen stets mit einer bestimmten Aufgabe, die sie in einer bestimmten Situation zu erfüllen haben. In ihrem Wesen spiegeln sich eine klare Einfalt und eine lebendige Beziehung zwischen Menschen und Gott. Engel im Alten Testament erfüllen gleichzeitig eine Aufgabe und vermitteln Ruhe und Hoheit.
Im Alten Testament wird jedoch die Vorstellung von einer Seele und einem Leben nach dem Tod nicht entwickelt. Die Engel begegnen den Menschen mitten im Diesseits und führen ihren Auftrag aus. Sie sind keine feinstofflichen, flatterhaften Wesenheiten, sondern erhabene Würdeträger und zuweilen auch wie Menschen auftretende Fremde.
Cherubim an der Bundeslade / die Bundeslade war eine mit Gold überzogene Truhe aus Akazienholz (vlg. Ex 25, 10-20); auf ihr bereiteten zwei Cherubim ihre Flügel zum Schutz aus / die Bundeslade wurde vermutlich von Nebukadnezar II im Jahr 587/566 v. Chr. zerstört
Tobias und der Engel / im Alten Testament handelt ein ganzes Buch, das Buch Tobit, vom Wirken des Erzengels Raphael / Bild von Andrea del Verrocchio / um 1470 / National Gallery, London