Thomas thront zwischen Aristoteles und Platon, deren Lehren er miteinander verband, vor ihm liegt niedergestreckt und besiegt der spanisch-arabische Philosoph Averroes / Ausschnitt aus dem Gemälde „Triumph des Hl. Thomas von Aquin über Averroes“ von Benozzo Gozzoli / 1468-84
Dante Alighieri / aus der Reihe berühmter Frauen und Männer von Andrea del Castagno / um 1450 / Galleria degli Uffizi, Florence
Dante und Vergil im neunten Ring der Hölle / die Verräter im zugefrohrenen Fluss Kogytos, dem Fluss des Wehklagens aus der griechischen Mythologie / Illustration von Gustave Doré / 1861
Dante vor dem Empyreum / das Empyreum (griech. "im Feuer") galt Aristoteles als höchster Teil des Himmels, im Christentum war es der Aufenthaltsort Gottes / Illustration von Gustave Doré / 1861
Mittelalter ab der Jahrtausendwende
Allgemeine Vorbetrachtung
Die karolingische Renaissance strahlte noch lange in die abendländische Kultur aus. Sie hatte das Idealbild eines einheitlichen Europas angefacht, was sich sich etwa in der gemeinsamen internationalen Sprache der Gelehrten ganz Europas ausdrückte: im Latein, welches es ermöglichte ortsunabhängig zu arbeiten und sich überall zu verstehen.
Die karolingische Renaissance hatte aber auch einen Weg gefunden, mit Überlieferungen nach besonderer Weise umzugehen, nämlich, indem sie die verstreuten Elemente der klassischen und patristischen Zeit sammelte, zusamenstellte und kommentierte, und indem sie diese Elemente mit eigenen philosophischen und formensprachlichen Elementen wiederbelebte. Diese Wiederbelebung, diese Renaissance überlieferter Elemente wurde zur Grundlage einer neuen Kultur und führte zu einer Auseinandersetzung zwischen Gegebenem und Eigenem, zwischen Tradition und Innovation.
Die Scholastik
So darf es kaum verwundern, dass sich die damalige scholastische Philosophie ganz besonders mit der Frage nach Erkenntnis und der Frage nach dem Allgemeinen und Einzelnen auseinandersetzte.
Erkenntnistheoretisch stellte sich nämlich die Frage, wie überlieferte und teilweise auch fremde Erfarhungen (seien das Glaubensinhalte wie die Auferstehung oder Visionsberichte von Heiligen und Kirchenvätern) zu verstehen sind.
Die scholastische Methode zeichnete zunächst Glaubenswahrheiten mittels der Vernunft nach, erklärte sie und machte sie verständlich, ordnete, systematisierte und durchdachte Heilwahrheiten und widerlegte die Einwände gegen diese mit vernünftigen Argumenten.
Später unterschied sie zwischen geoffenbarter Erkenntnis und rationaler Erkenntnis, eine Unterscheidung, die auch heute noch in dem vermeintlichen Gegensatzpaar von Glauben und Denken mitschwingt. Dabei wagte sich der scholastische Diskurs um die Erkenntnis bis in die innere Natur des Menschen vor und stellte sich die menschliche Seele als ein Wesen vor, dessen Erkennen aus einem aktiven und passiven Teil besteht.
Die Frage nach dem Allgemeinen und Einzelnen hielt die Scholastik während Jahrhunderten im Banne. Hinter der für heutiges Bewustsein vielleicht etwas fremden Problemstellung verbirgt sich aber das auch heute noch klärungsbedürftige Verhältnis von allgemeinen Wahrheiten und individuellen situativen Erfarhungen. Was für uns heute nach dem Konflikt zwischen Konventionen und Individualismus klingt, stellte für die Scholastik ein viel grundsätzlicheres Problem dar, in das Gott, die Welt, die Engel und die Menschen verwickelt waren. Denn wenn die Welt und alles Geschaffene aus Gott (Gott Vater), seinem ewigen Wort (Gott Sohn) und dem Geiste (Heiliger Geist) erschaffen wurde, welche Wirklichkeit kommt dann der geistigen, göttlichen Welt und welche Wirklichkeit der irdischen, sinnlichen Welt zu? War der Mensch in Gott als Urbild da, oder sind wir es, die mit Vernunft alle Menschen zu einer „Menschheit“ zusammenfassen? Sind die allgemeinen Begriffe tatsächliche lebendige und wirksame Urbilder oder blosse Namen, die wir den Dingen anhängen? Sind die universalen Begriffe real oder bloss nominal? – und damit sind wir mitten in der scholastischen Diskussion um die Universalien und dem Lager der Realisten, für die die allgemeinen Universalien (wie für Platon die Ideen) lebendige Urbilder sind, und dem Lager der Nominalisten, für welche die Universalien blosse zusamenfassende Namen sind.
Der grossartige Abschluss und Höhepunkt der Scholastik bildet auf philosophischer Seite das ebenso gründliche wie umfassende Werk Thomas von Aquins und seines Lehrers Albertus Magnus und auf lieterarischer Seite die „Göttliche Komödie“ Dantes.
Thomas von Aquin (um 1225 -1274)
Im Gegensatz zu Augustinus tritt die Person Thomas von Aquins beinahe ganz hinter seinem monumentalen Werk zurück, in dem er in schlüssiger Abfolge Frage für Frage wie die einzelnen Bausteine einer gotischen Kathedrale aufeinander setzt.
In Bezug auf Engel war sich Thomas von Aquin nicht nur derer Existenz sicher, sondern er erklärte deren Wesen, Ordnungen und Erkenntnisfähigkeiten mit vernünftigen und anschaulichen Mitteln. In seiner „Summa Contra Gentiles“ erörtert er Punkt für Punkt das Wesen Gottes, seiner Schöpfung und das Wesen der Vernunft und der Offenbarung. Die Engel werden zusammen mit den Menschen dem endzeitlichen Ziel der Wonne in Gott hingeordnet. Allerdings unterscheiden sie sich von den Menschen in der Erkenntnisfähigkeit und im Weg, der sie auf das Ziel hin führt. Die Engel gehören in die Gemeinschaft der geistigen Kirche. Sie bilden darin die Gemeinschaft der Schauenden, während wir Menschen die irdische Gemeinschaft der Gläubigen bilden. Das Haupt der gesamten Kirche, der Schauenden und der Gläubigen, ist Christus, der als Mensch wandelte und zugleich Schauender war.
Dante Alighieri (1265-1321)
Dante Alighieris epische Dichtung „Die Göttliche Komödie“ (La Divina Commedia) ist nicht in heutigem Sinne komisch. Die Bezeichnung Commedia ergibt sich aus der griechischen Bedeutung des Wortes, wonach eine Komödie ein Stück ist, das Werk traurig beginnt und gut endet. Es beschreibt den Weg vom Elend zur Seligkeit und ist im Stil der Volkssprache gehalten. Allerdings hatte Dante es nielmals als „göttlich“ bezeichnet. Die Bezeichnung „Divina“ ist Boccacio zu verdanken und erschien erst 1555. Das Thema des Weltgedichtes ist der Mensch. Dante schildert seine eigene Wanderung durch das Jenseits als eine allegorische Pilgerreise durch die drei Reiche – Hölle, Fegefeuer und Paradies –, die sich wie ein mythischer Einweihungsweg darstellt, von der Verwirrung in der sinnlichen und vereinzelten Welt bis hin zur Vereinigung mit dem Absoluten. Auch hier spiegeln sich die Fragen vom Allgemeinen, Einheitlichen und dem vielen Einzelnen, wie die Scholastik beschäftigt haben.
Dante trifft auf Engel und Dämonen, auf die Verstorbenen und die Heiligen. Das ganze Denken seiner Zeit fasst sich in dieser grandiosen Gesamtschau zusammen.