Zeit der Reformation
Allgemeine Vorbetrachtung
Zu allen Zeiten des Christentums genoss der Engelglaube Bedeutung. Allerdings spielen ab der Reformationszeit verstärkt konfessionelle Unterschiede eine Rolle. Während der kultische und theologische Einbezug von Engeln im Katholizismus und der christlichen Orthodoxie ungebrochen gepflegt wurde, gingen die lutherischen Kirchen zwar von der Existenz und der Ehrwürdigkeit der Engel aus, aber verstanden deren Verehrung nicht als Bestandteil des eigentlichen christlichen Glaubens. Die reformierten Kirchen standen der Engelverehrung skeptisch bis ablehnend gegenüber. Diese skeptische Gundhaltung, die im Lauf der Zeit zunahm, entsprang aus der drohenden und richtenden Funktion der Engel im Jüngsten Gericht, mit welcher die katholische Kirche ihre dogmatische Stellung und Heilssouveränität jahrhunderte lang zementiert hatte und von der sich reformierte und protestantische Bekenntnisse befreit wussten.
Die protestantische Theologie
Dennoch gab und gitb es protestantische Engelslehren. Sie gehen von der katholischen Angelologie aus und teieln mit ihr – zumindest im Anfang – die Namen und Einteilungen der Engel sowie den Galuben an deren Existenz. Luther wie Calvin lehnten allerdings die spezifisch-scholastischen Spekulationen ab. Sie wiesen alle philosophischen und theologischen Spekulationen aus nachbiblischer Zeit, über die Natur der Engel, ab und beliessen es bei der biblischen Andeutung. So vermieden sie philosophische Probleme. Da selbst Dionysius als von der Bibel zeitlich weit entfernt angesehen wurde, vermieden die Reformatoren eine genauere Behandlung der Engelhierarchien und bezogen seine Schriften wie alle Schriften von nachbiblischen Theologen höchstens im Rahmen theologischer Studien mit ein.
Martin Luther (1438 - 1546)
Luther verstand die Engel als Diener Gottes. Sie führten den Willen Gottes aus und wirkten an der Lenkung der Welt und im Leben jedes Menschen mit. Luther nannte sie sogar seine geistlichen Füher, hielt Michaelspredigten und betonte deutlich die Macht der gefallenen Engel und des Teufels. Doch er bekämpfte die Idee, durch die Engel könnte man leichter Zugang zu Gott erlangen oder Gott durch ihre Verehrung gnädig stimmen.
Jean Calvin (1509 - 1564)
Calvin stellt sich gegen die Annahme, die Berichte über Engelerscheinungen seien bloss eine symbolische Ausdrucksweise für göttliche Eingebungen, und hält daran fest, dass die Engel von Gott mit der Aufgabe betraut sind, die Menschen zu beschützen und ihnen zu helfen. Aber er bezweifelt die Existenz eines persönlichen Schutzengels, die Mithilfe der Engel im Bereich der Schöpfung und der Weltregierung Gottes sowie des Heilwirkens Christi, weil Gott allein alles tun könne und Christus keine Scharen immaterieller Geister als Verstärkung brauche.
Für Calvin drücken die verschiedenen Namen der Engelchöre verschiedener Aspekte der Aufgabenbewältigungsarten ("Funktionen") der Engel aus. Engel sieht er als "einen edlen und hervorragenden Teil" der Schöpfung.
Weil Calvin nicht zwischen Anbetung und Hilfegebet als Teile der Liturgie und anderen, alltäglicheren Kulten unterschied, musste er folgerichtig den Engelskult ablehnen. Den Glauben an die Engel sah er dagegen als "höchst notwendig" an.
Protestantische Kirchen
Der Gedenktag des Erzengels Michael und aller Engel (29. September) wird in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) gottesdienstlich begangen. Im Evangelisch-Lutherischen Kirchengesangbuch (ELKG) finden sich auch Engellieder, wie:
- Herr, Gott, dich loben alle wir (lat. „Dicimus grates tibi“ des lutherischen Theologen Philipp Melanchthon (1539) deutsch von Paul Eber 1561) (ELKG 115)
- Heut singt die liebe Christenheit (Nikolaus Hermann 1560) (ELKG 116)
- Gott, aller Schöpfung heilger Herr (Ernst Hofmann 1971) (ELKG 447)
Ebenso findet sich in der Evangelisch-Lutherischen Kirchenagende eine gesonderte Präfation zum Tag des Erzengels Michael und aller Engel.
Auch im Schweizerischen Reformierten Kirchengesangbuch finden sich Lieder, in denen Engel vorkommen.
- Grosser Gott, wir loben dich (RG 247)
- Die Nacht ist vorgedrungen (RG 372)
- Vom Himmel kam der Engel Schar (RG 393)
Bisweilen jubelt die singende Gemeinde aus derselben Perspektive des gottzugewandten Engelchores, wie etwa in
- Tochter Zion, freue dich (RG 370)
- In dulci jubilo (RG 384)
- Hier drücken die Engel zusammen mit der gemeinde Gottesnähe aus.
Die römisch-katholische Kirche
Mit Francisco Suárez (1548-1617), dem grossen jesuitischen Barockscholastiker aus Spanien, war die letzte umfassende und weitergebildete Angelologie geschrieben. Danach folgten nur noch historische Untersuchungen wie das dogmatische Werk von Denis Petau SJ (+1652) oder Kommentare zu den grossen Scholastikern wie von Billuart (+1757), Johannes a S. Thoma (+1644) oder Salmanticenses oder M. Ferchius.
Doch die Verehrung der Engel nahm zu: Überall gründete man Michaels- und Engelsbruderschaften, die zur Verehrung der Engel anleiteten. Besonders die Schutzengel wurden als Seelenführer empfohlen. 1608 wurde das in Spanien entstandene Schutzengelfest für die ganze Kirche übernommen (Fest bis 1970, heute Gedenktag).
Im Verlauf der Gegenreformation nahmen die Engel allmählich das Aussehen kleiner Kinder an. Vielleicht in Anlehnung an das biblische Wort aus Matthäus 18, 3 (Wahrlich ich sage euch: Wenn ihr nicht ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen) oder 19,14. Vielleicht reagiert die barocke verharmlosende Darstellung der Engel aber auch auf das mittelalterliche Bild der drohenden und richtenden Engel am Ende aller Zeit.
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Portrait Martin Luthers / Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren / 1529 / Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Portrait Jean Calvins / Gemädle von Tiziano Vecelli / 16. Jhrd. / Eglise Reformée de France, Paris
Der Papstesel zu Rom / Karikatur von Lukas Cranach dem Älteren / 1523
Teufel mit Luther als Sackpfeife / Karikatur von Erhard Schoen / um 1535